Zwischen dem Wollen nach einer Iaido Philosophie und dem Können über Erfahrung durchs Tun liegt ein weiter Abstand. Im beständigen Üben von Iaido wird dieser Abstand sichtbar – und zugleich kann man ihm entgegenwirken. Iaido ist nicht nur eine Schwertkunst, sondern auch eine Auseinandersetzung mit Haltung, Geist und Selbstdisziplin. Wer nach tieferer Philosophie und nach den Wurzeln des Iaido sucht, sollte den ersten Satz bedenken: Vorstellungen und angelesenes Wissen lenken leicht vom Wesentlichen ab.
Religionseinflüsse auf Iaido
Das Iaido entstand in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche. Die Samurai als Hüter und Vorbilder der Ordnung verloren ihre Macht, während bürgerliche und wirtschaftliche Entwicklungen das Leitbild der Gesellschaft prägten. Viele Werte und Vorstellungen jener Epoche haben sich im Iaido – vermittelt über die Koryū – und in der japanischen Budowelt erhalten.
Die unmittelbare Wirkung einer Schwertbewegung verweist auf die Lehre des Zen. Im Schwertkampf bleibt kein Raum für Zögern – er erfordert unmittelbare, endgültige Entscheidung. Zen bedeutet: Praxis statt Theorie, Wachheit statt Angepasstheit, Nonkonformismus statt einfacher Konvention. Zen hat als finales Argument den Tod während Samurais als Argument das Katana nutzten. Entsprechend streng war die Ausbildung und das Verhalten der Samurai, deren Leben durch strikte Regeln geprägt war.
Ein weiteres Fundament bildet der Konfuzianismus, ein System wechselseitiger Abhängigkeit, Einordnung und Verpflichtung. Er prägte nicht nur Gesellschaft und Familie, sondern auch das Dojo. Dort galt und gilt eine klare Ordnung, manchmal streng, doch sinnvoll, solange sie nicht missbraucht wird. Sicherheit und Tiefe entstehen nur, wenn die Anweisungen des Lehrers befolgt werden, allerdings nicht blindlinks.
Der Shintoismus, lange Zeit Staatsreligion Japans, ist ein Naturglaube. Wie Konfuzianismus und Zen wurde er von Herrschenden auch als Machtinstrument genutzt. Zugleich vermittelt er eine Vorstellung von Einklang mit Natur und Reinheit. Übertragen auf das Iaido finden sich Bezüge in der Bewegungslehre: Harmonie mit natürlichen Abläufen, Gesetzmäßigkeiten des Wandels, Erneuerung und Klarheit. Aus der Verbindung von Notwendigkeit, Anforderung und Erfüllung entsteht Einklang mit dem Absoluten.
Iaido Philosophie im heutigen Kontext
Das wahre Gesicht von Budo, Schwertkampf und Iaido ist heute oft verfälscht. Hollywood zeigt Kampfkunst als spannendes Abenteuer mit Akrobatik, Mythen unbesiegbarer Samurai werden verbreitet. Geschäftstüchtige Adepten, etwa nach dem Muster »Samurai für Manager«, wollen alte Vorstellungen vermarkten. Auch esoterische Seminare greifen Schlagworte auf, ohne den eigentlichen Kern zu erfassen.
Das Schwert wird nicht mehr eingesetzt, der Geist jedoch bleibt lebendig. Iaido vermittelt Tugenden, die nur durch Übung erfahrbar sind: Einfachheit, Geradlinigkeit, Entschlossenheit, Eigeninitiative, Gelassenheit und innere Ruhe. Sie zu erlernen ist Motivation für viele Übende.
Fortschritte in Technik und Bewegung sind möglich, ohne dass sich Geist und Haltung gleichermaßen entwickeln. Doch wenn sich Technik und innere Reifung zu stark voneinander entfernen, schwindet das Interesse. Dann verkommt Iaido zu bloßer körperlicher Betätigung: schneller, repititiv, unbedacht. Das aber sind Eigenschaften des Sports, nicht des Do. (Budo kann Sport sein, aber Sport ist nicht automatisch Budo.)
Wo bürgerliche Regeln und Vorschriften zum Selbstzweck werden, bestenfalls zur Choreografie, verdrängen sie die innere Auseinandersetzung mit dem Sinn der Übung. Buchstabengetreue Nachahmung blockiert eigene Entwicklung und schafft Abhängigkeit von äußeren Anweisungen. Der Blick auf den Do erlischt.
Die Beherrschung des Katana und der Kata ist der sichtbare Teil des Iaido. Der unsichtbare, geistige Aspekt ist jedoch seine Essenz. Hier liegt die eigentliche Seele des Iai, die Quelle, aus der sich erklärt, warum Iaido und Budo insgesamt bis heute weitergegeben und weiterentwickelt werden.
Es gibt viele Interpretationen und Vorstellungen über die alte Samurai-Zeit. Manche sehen die Samurai als priviligierte Kriegerkaste, andere betonen ihre geistigen und moralischen Ideale des Budo. In der Praxis des Iaido fließen beide Perspektiven zusammen: einerseits die Schärfe und Entschlossenheit im Handeln, andererseits die Suche nach innerer Bestimmung, Ruhe und Klarheit. So wird deutlich, dass Iaido nicht nur eine Kampfkunst ist, sondern auch ein Spiegel historischer Vorstellungen und moderner Deutung.
Heutige Iaido-Übung schenkt den Geschichten wenig Beachtung. Iaido will keine Menschen beeinflussen, sondern ermöglicht individuelle Reflexion und Wahrhaftigkeit. Es gleicht dem paradoxen Bild, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.