Von unten nach oben

Verharren statt Bewegen

Die Erfahrungen typischen Lebens in industria­li­sierter Um­gebung beschränken sich körperlich auf das Verharren, weniger auf das Bewegen. Man kommt an zur Wartezone des öffentlichen Nah­verkehrs, benutzt den Bus, bewegt sich minimal auf dem letzten Stück zum Arbeits­platz und gelangt auf seinem Bürostuhl. Von dort geht es zu diversen Meetings und abends das ganze wieder rückwärts. Fast alle Bewegungserlebnisse innerhalb dieser Zeit spielen sich im oberen Körperbereich ab. Am schlimmsten wirkt »Bilds­schirmarbeit« mit anhaltender Konzentration der Augen auf den Bildschirm. Bewegen tun sich maximal die Finger. Es ist sogar störend, beim Tippen die Füße ein­­zu­be­ziehen oder die Arme. So wird man die Tasten verfehlen und die Arbeits­ergebnisse ver­schlech­tern. Folgen dieser einge­schränkten Bewegungs­­erfahrung sind DES (Dry Eye Syndrome), Verhärtung des Nackens durch die Fixierung auf den Screen, RSI (Repetitive Strain Injury) durchs Maus­schubsen und Tippen, Rückenprobleme, Kreiss­lauf­s­erkrankungen usw.

Unterschied sportlichen Bewegens und Budo

Der ›moderne Mensch‹ versucht einen körperlichen Ausgleich im »Sportstudio« oder »Wellness«-Bereichen. Budo-Training hat nicht den Anspruch von Sport, nur ähnliche Methodik der Ausbildung. Viele beginnen mit dem Gedanken an Fitness mit einem »Kampfsport«. Beim Üben von Iaido ist ein ganzheitlicher Anspruch deutlich. Man bewegt sich mit dem Schwert. Das Schwert folgt dem Willen des Übenden. Der Übende folgt der Enbusen, also der gedachten Linie, die durch die zu übende Kata vorgezeichnet ist. Um diese Ansprüche zu erfüllen, muss sich der Mensch umstellen. Viele der Bewegungen, Beweglichkeit müssen mühsam gewonnen werden. Balance, Wendigkeit müssen ausgebildet und gefunden werden. Hohen Anspruch an die Balance stellen zum Beispiel Kata der Hasegawa Eishin Ryu. Wendig­keit ergibt sich auch bei ernsthaften Üben der Seitei-Kata (zum Beipiel bei fast allen Stand­formen).

Kataexperimente

Interessant ist ein Vergleich einfacher stehender Kata aus Seitei-Iai, z.B. Ganmenate mit einer »höheren« Kata aus Hasegawa-Eishin-Ryu, etwa Yokugumo. Geht man bei Ganmenate auf den Gegner zu, um diesen mit dem Griffende zu stoßen, dann kann man die Stoßkraft unabhängig von der Körper­bewegung ausführen. Anders ausgedrückt: der Griff kann schwach oder stark gestoßen werden; in beiden Fällen würde es Wirkung zeigen aufgrund der Griffhärte. So ist der Übende im Grund nicht dazu ge­zwungen, einen großen Teil seiner Körper­kraft für eine Bewegung einzusetzen. Unter­bau und oberer Körper sind voneinander getrennt. Starke (im Grunde übertriebene) Ausführung erst gemahnen den Übenden zum Einsatz weiterer Muskel­gruppen, die für die Koordination des Stoßes nötig wären. Wahr­scheinlich muss der Übende sehr viel Aufwand treiben für stabilen Stand. Man könnte das mit einem »von unten nach oben« verwechseln. Das ist aber nicht ausreichend.

Kata verdeutlicht Bewegungsfluss

Anders ist die Situation bei der Bewältigung der Kata Yokugumo. Starke Ausführung wird den Körper verspannen. Schwache Ausführung, gar Trennung der Körperzonen zum Aus­führen von Nukitsuke führt zur Dysbalance. Man ist in dieser Kata gezwungen, eine ganzheitliche Bewegung zu finden. Ist der Arm zu stark, kommt der Körper nicht hinterher. Sind die Beine verspannt, kann keine Kraft in die Arme gelangen. Im Entfalten des Körpers aus sitzender Stellung kann ein Strom von unten nach oben sehr deutlich werden. Eine typisch japanische Trainings­lösung in diesem Falle oder auch allgemeiner ist das Üben bis zur körperlichen Erschöpfung. Sinn ist die Überbeanspruchung verkrampfter Muskelzonen zur Aktivierung ungenutzter Bereiche. In diesem Moment spürt man eine eine Erleichterung, eine ungeahnte »Reserve« erwacht. Dieser Fall zeigt vollständigen Kraftfluss von unten nach oben. Die Füße und Beine sind die wahren Steuerungsinstrumente des Körpers. Gut beobachten lässt sich nach so einer Erfahrung, wie jemand das Nukitsuke bei Kata Ganmenate oder etwa Seichuto ausführt: von »unten nach oben« oder falsch nur oben mit unten.

Über Ent­spannung beim Bewegen, zum Beispiel mit sehr langsamen Üben lässt sich so etwas auch erlernen (Beispiel TaiChi) oder im bewussten Gegenteil mit/nach starker Über­forderung (Beispiel Kendo, Karate). Die typisch japanische Trainingsmethode der Überforderung wird häufig als sportliche Methodik zum ›Leistungs­aufbau‹ missdeutet; oder schlimmer als eine Psycho­technik des Militärs: erst den Geist eines Soldaten brechen, um ihn dann willfährig zu formen.

Fazit

Training im herkömmlichen Sinne ermöglicht die Bewegung diverser Körperbereiche. Tiefer­gehende Betrachtung erst lehrt das Zusammenwirken aller Muskelgruppen. Schaue Dir die Kata an und analysiere das gute Zusammen­s­spiel aller Faktoren, um Bewegungen richtig zu steuern. Es ist nicht die der modernen Menschen.

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