Nukitsuke im Gehen

Seitei-Kata Mae als Grundlage

Seitei-Iai als Grundschule beginnt in der Reihenfolge mit Kata Nummer 1: Mae. Das ist bemerkenswert. Jegliche Kampfkunst übt bevorzugt stehende Formen. Vielfach wird aber Mae oder vergleichbare Kata in anderen Iaischulen als wichtigste Iaidoform gewertet. Kann uns das bei der Betrachtung des Gehens weiterhelfen? Sollte es eigentlich. Was als Grundlage gilt, sollte Ausgangspunkt unserer Betrachtung sein (obwohl es lohnen würde, »nur« Mae zu betrachten).

Mae ist seltsam

Das Ziehen des Schwerts bei Mae ist aus einer seltsamen Lage. Relativ bewegungslos sitzt man mit ›eingeklemmten‹ Beinen im japanischen Seiza auf dem Boden. Schnelles Ausweichen, gar Flüchten auf einen Angriff ist kaum möglich. Die Taktik und bestimmend für das übrige Iai ist der Angriff im richtigen Moment. Dann, wenn gar nichts mehr hilft, wird das Schwert ergriffen und durchgezogen. Diese Art ist im besten Fall Sen-sen-no-Sen (Gegenangriff vor dem Moment des Angriffs). Im Sitzen ist das Moment der Sammlung und maximale Aufmerksamkeit nötig. Diese Einstellung kann auch für stehende Iaiformen verlangt werden. Beim Aufrichten aus Seiza muss die Kraft mit Ausatmen aus dem Rumpf entwickelt werden. Dann fließt Kraft nach dem Aufrichten und dem Aufstellen der Füße vom Boden bis in die Schwertspitze.

Startposition in stehenden Formen

Bei stehenden Katas (Tachiai) ist die Ausgangslage anders. Wir »ruhen« zwar einen Moment, bevor wir die Kata starten, indem wir stehen. Der erste Schritt soll aber in ein Gehen hineinführen. Dann erst beginnt die eigentliche Aktion. Besonders deutlich wird es in der Kata Sanpogiri. Sie beginnt mit 5 Schritten (früher 3). Hier läuft man in die Aktions­zone hinein. Angedeutet wird es in allen anderen stehenden Kata. Man kann diese durchaus mit mehr Schritten ausführen. Normaler­weise bewegt der erste Schritt der Form den Körper (auf ein Ziel) zu. Schon beim zweiten Schritt beginnt Aktion. Im dritten Schritt kommt es zur Ausführung: Nukitsuke.

Die einzelnen Schritte ausfüllen

Welche Aktion erwartet man beim 2. Schritt? Hier wird das Schwert ergriffen. Besser ist das unmittelbare Ziehen des Schwertes. Je weiter man zieht, desto früher steht das Schwert bereit für freie Bewegungen. Ein aktives Sayabiki (Sayabewegung) ist vorausgesetzt. Beim dritten Schritt sollte das Nukitsuke erfolgen. Allerdings nicht erst dann! Rechnet man das gesamte Ziehen zur Aktion — beim Iaido sollte so gedacht werden, sonst sprechen wir streng genommen von Kendo — ist das Schwert ab dem zweiten Schritt unterwegs. Beim dritten Schritt kommt die geplante Aktion zur Entfaltung, wie auch zum Stillstand. Zusammen mit Schritt und dem dahinterliegenden Körpergewicht entfaltet das Nukitsuke seine volle Wirkung.

Kime im Schnitt

Abgesehen von Techniken mit Griff beim Nukitsuke könnte man annehmen, dass mit dem letzten Schritt auf maximale Kraftentfaltung hingearbeitet wird. Man kann an Kime denken, der maximalen Kraftentfaltung auf einen Punkt wie etwa im (Shotokan-) Karate oder Kendo gefordert. Iaitechnik entfaltet sich aber nicht auf einen Punkt, sondern schneidet einen Weg. Es geht nicht auf etwas, sondern durch etwas! Die maximale Kraftentfaltung entsteht nur durch gutes Tenouchi (Eindrehen der Hände) und der daraus entstehenden Kraftentfaltung über eine Strecke der Schwertbewegung. Selbst die ›Stoßtechnik‹ mit dem Griffende in der Kata Ganmenate braucht nicht endgültig festlegendes Kime (vergleiche Kata Okuden Yukichigai) auf einen Punkt. Besser sollte man unterstützendes Schieben durch Beinkraft von unten nach oben durchführen.

Kraftwerk

Nehmen wir an, das Schwert soll kraftvoll geführt sein, um seine Wirkung zweifelsfrei zu entfalten, müssen wir über die Kraftwege nachdenken. Das Schwert sollte früh heraus aus dem Saya, um in Aktion zu treten. Das Schwert sollte vorgehen, um rechtzeitig beim Gegner zu sein. Wo kommt die Kraft her? Sicher reicht schon einfaches Fallenlassen der Klinge auf den Gegner, um tödliche Wirkung zu erzielen. Andererseits soll der ganze Körper einen Schlag — Entschuldigung — Schnitt führen. Wir müssen die Kraft und Schnelligkeit aus der Bewegung schöpfen. Durch das Vorgehen bewegt sich das Schwert mit uns mit (stehenbleiben und das Schwert bewegte sich weiter).

Schritte laden auf

Verstärkung des Schnitts — und das ist die richtige Weise — ergibt sich nur durch den Körper hindurch. Damit haben wir denselben Weg wie bei Mae. Vom 2. Schritt an (das Schwert ist unterwegs) drücken wir uns vom hinteren Fuß ab und in einer Bewegung bis in die Schwertspitze hinein. So können wir für den Schneideweg auf die irrige Modell­vor­stellung eines Anglers verzichten, der seine Angel auswirft. Wir gehen mit dem Schnitt zusammen in den Gegner. Eine entspannte Möglichkeit ist es, die Schwerkraft (Fallweg) des Körpers zu nutzen, wenn es in den letzten Schritt hineingeht. Dafür kann man gut die Schrittlänge des zweiten Schritt verkürzen, fast auslassen. Voraussetzung ist Ausführung des Nukitsuke, wie oben beschrieben: rechtzeitig ziehen, frühzeitig das Schwert vorgehen lassen und am Ende gemeinsam Schritt und Schnittende vollziehen.

Fazit

Das Gehen beim Nukitsuke kann die Aktion »aufladen«. Körperbewegung und Schwert müssen verschmolzen werden zu einem Ablauf.

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